Wiedereingliederung: Rechte und Pflichten von Arbeitnehmern © iStock.com/Andrey Popov

1. Dezember 2022, 10:30 Uhr

Darf ich eigentlich? Wie­der­ein­glie­de­rung: Rechte und Pflichten von Arbeitnehmern

Sind Arbeitnehmer nach einem Unfall oder durch andere Erkrankungen sechs Wochen oder länger krankgeschrieben, haben sie ein Anrecht auf Wiedereingliederung in den Beruf. Denn die Rückkehr an den Arbeitsplatz kann mit Problemen einhergehen, bei deren Lösung Arbeitgeber unterstützen sollen. Was eine Wiedereingliederung genau bedeutet und wie Gehalt, Arbeitszeit und Urlaubsansprüche geregelt sind, erfährst du in unserem Ratgeber.

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Was ist Wie­der­ein­glie­de­rung und wer zahlt sie?

Du bist schon seit einiger Zeit krankgeschrieben, doch langsam zeichnet sich eine Besserung deiner Gesundheit ab? Prinzipiell könntest du nun wieder arbeiten gehen, aber du schreckst vor dem vollen Arbeitsumfang zurück? Keine Sorge. Für diesen Fall gibt es die sogenannte Wiedereingliederung. Bist du als Arbeitnehmer dazu in der Lage, ermöglicht dir die Wiedereingliederung eine schrittweise Rückkehr in den Joballtag.

Rechtlich gesehen bist du während einer Wiedereingliederungsmaßnahme zwar noch arbeitsunfähig beziehungsweise krankgeschrieben, du gehst jedoch in geringem Umfang wieder beruflichen Verpflichtungen nach. Gut zu wissen: Dir entstehen keinerlei finanziellen oder rechtlichen Nachteile während der Wiedereingliederungsphase, obwohl du offiziell noch arbeitsunfähig bist. Im Gegenteil ist die eigentliche Arbeitsunfähigkeit sogar Voraussetzung für eine Wiedereingliederungsmaßnahme.

Gemäß § 167 Neuntes Sozialgesetzbuch (SGB IX) berät der Arbeitgeber mit dem betreffenden Arbeitnehmer die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit schnellstmöglich überwunden werden kann und welcher Hilfen und Leistungen es bedarf, um den Wiedereinstieg zu erleichtern.

In der Regel kümmert sich das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) um die Vorbeugung einer erneuten Arbeitsunfähigkeit (§ 167 Abs. 2 IX SGB). Benötigt der erkrankte Angestellte beispielsweise eine Reha, nimmt der Arbeitgeber Kontakt zu den Rehabilitationsträgern auf. Auch Veränderungen am Arbeitsplatz selbst, die zur Erkrankung beigetragen haben, oder aber Hilfsmaßnahmen wie etwa ein höhenverstellbarer Schreibtisch oder ein barrierefreier Zugang zum Arbeitsplatz führt das BEM durch.

INFO

Hamburger Modell: Stufenweiser Wiedereinstieg

Die stufenweise Wiedereingliederung ist in § 74 SGB V und § 44 SGB IX geregelt und wird umgangssprachlich auch als Hamburger Modell betitelt. Die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers soll durch stufenweise Wiederaufnahme der Arbeit verkürzt werden, während der Angestellte weiterhin Krankengeld erhält. So bietet das Modell nicht nur Beschäftigten den Vorteil, einer möglichen Arbeitslosigkeit vorzubeugen, sondern auch Arbeitgebern, Personalkosten oder die Einarbeitung einer neuen Arbeitskraft einzusparen.

Achtung: Das stufenweise Wiedereingliederungsmodell können nur Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen wahrnehmen.

Muss ich eine Wie­der­ein­glie­de­rung machen?

Eine Wiedereingliederungsmaßnahme kann vom Erkrankten selbst oder vom Arbeitgeber vorgeschlagen werden. Fühlst du dich in der Lage, teilweise wieder arbeiten zu gehen, und befürwortet dein Arzt die Maßnahmen, steht einer Absprache mit deinem Arbeitgeber nichts im Wege. Dein Hausarzt oder der Betriebsarzt begleiten dich auf diesem Weg und können entsprechende Fortschritte oder mögliche Komplikationen zeitnah festhalten.

Wichtig: Dein Arbeitgeber kann dich nicht zu einer Wiedereingliederungsmaßnahme zwingen. Du allein entscheidest zusammen mit deinem behandelnden Arzt, ob du gesundheitlich in der Lage bist, langsam wieder in den Job zu starten. Ebenso kannst du warten, bis du wieder voll arbeitsfähig bist, und auf eine Wiedereingliederung verzichten. Allerdings steigt bei einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als einem halben Jahr auch die Gefahr, dass dein Arbeitgeber dir aus betrieblichen Gründen kündigt. Unter welchen Voraussetzungen er das darf, liest du in unserem Ratgeber zur Kündigung wegen Krankheit.

Mann sitzt auf einem Untersuchungsbett und hört einem Arzt zu.
© iStock.com/andresr

Zeitplan und Arbeits­zei­ten während einer Wiedereingliederung

Hast du dich für eine Wiedereingliederungsmaßnahme entschieden, wird ein Wiedereingliederungsplan erstellt. Hierfür ist dein behandelnder Arzt – in der Regel dein Hausarzt – zuständig. Ein Wiedereingliederungsplan sollte folgende Fragen klären:

  • Wann beginnt die Wie­der­ein­glie­de­rung und wann wird sie vor­aus­sicht­lich enden?
  • Welcher Art werden die einzelnen Stufen sein und wie lange werden sie jeweils dauern?
  • Wann wird der Arbeit­neh­mer vor­aus­sicht­lich wieder voll­um­fäng­lich arbeits­fä­hig sein?
  • Welche Tätig­kei­ten und Belas­tun­gen sind für den Arbeit­neh­mer aus­führ­bar, welche zu meiden?
  • Welche sinn­vol­len Maßnahmen und Vor­keh­run­gen sind noch zu treffen?

Wichtig: Auch die Rücktrittsrechte von Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollten festgehalten werden. Denn wenn du während einer Wiedereingliederungsmaßnahme merkst, dass du doch nicht in der Lage bist, wieder zu arbeiten, können du und dein Arbeitgeber einen Abbruch der Maßnahme beschließen.

Die stufenweise Wiedereingliederung dauert zwischen sechs Wochen und sechs Monaten und wird durch die vertragliche Arbeitszeit des Arbeitnehmers beeinflusst. Du kannst anfänglich mit einer täglichen Arbeitszeit von zwei Stunden starten. Nach zwei bis vier Wochen kann die Anzahl der Arbeitsstunden deiner Leistungsfähigkeit entsprechend erhöht werden, zum Beispiel auf vier Stunden am Tag. Entscheidend bei der Wiedereingliederung ist nicht nur die verringerte Arbeitszeit, sondern auch die der verminderten Leistungsfähigkeit des Betroffenen angepassten Art der zu leistenden Tätigkeiten.

Tipp: Am besten wendest du dich an deinen Betriebsarzt. Er kennt sowohl die Arbeitsabläufe im Unternehmen als auch die Umstände deiner Erkrankung. Zusammen könnt ihr besprechen, welche Tätigkeiten dir zuzumuten sind und wie und vor allem wann die Erhöhung deines Arbeitspensums vonstattengeht.

Ärztin unterhält sich mit Mann mit Halsschiene an ihrem Schreibtisch.
© iStock.com/Andrey Popov

Gehalt bei Wie­der­ein­glie­de­rung: Entgelt oder Krankengeld?

Dein reguläres Gehalt bekommst du während deiner Wiedereingliederung nicht, sondern Lohnersatzleistungen in Form von Krankengeld, Übergangsgeld oder nach einem Arbeitsunfall in Form von Verletztengeld. Den Ersatz für dein Arbeitsentgelt übernimmt also deine Kranken- oder Rentenversicherung, bei Wiedereingliederung nach einem Arbeitsunfall die Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse. Trotzdem ist es möglich, dass du als Arbeitnehmer mit deinen Vorgesetzten eine separate Entgeltvereinbarung treffen kannst, die dann ebenso vom jeweiligen Rehabilitationsträger übernommen wird. Die Lohnersatzleistungen bekommst du unabhängig von deiner geleisteten Arbeit ausbezahlt.

Krank während oder nach Wie­der­ein­glie­de­rung: Was nun?

Dass du während einer Wiedereingliederungsmaßnahme regelmäßig Rücksprache mit deinem Haus- oder dem Betriebsarzt hältst, ist zu empfehlen. Was aber, wenn du während deiner Wiedereingliederungszeit krank wirst und zum Arzt musst? Solltest du dich beispielsweise erkältet haben und krank zu Hause bleiben, so benötigt dein Arbeitgeber keine neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, denn diese liegt ja bereits vor. Allerdings hast du die Pflicht, deinen Arbeitgeber über deine Erkrankung und die voraussichtliche Dauer der Abwesenheit in Kenntnis zu setzen.

Es gilt: Unterbrichst du die Wiedereingliederung um mehr als sieben Tage, so gilt diese als gescheitert und wird beendet. Und dies vom ersten Tag der Erkrankung an. Das heißt: Du musst wohl oder übel eine neue Wiedereingliederungsmaßnahme starten, sobald es dir besser geht. Sich aufgrund einer Erkältung eine Woche lang auszukurieren, und die Wiedereingliederung danach fortzuführen, ist jedoch möglich.

Gut zu wissen: Wenn du eine Wiedereingliederung erfolgreich abgeschlossen hast und daraufhin erneut erkrankst, hast du wieder Anspruch auf sechswöchige Lohnfortzahlung und anschließendes Krankengeld. Allerdings ist hierbei entscheidend, ob es sich bei der nochmaligen Erkrankung um dieselbe Diagnose wie bei der ersten Arbeitsunfähigkeit handelt. Solltest du wegen derselben Erkrankung wie zuvor erneut arbeitsunfähig werden, hast du gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG) nur Anspruch auf sechswöchige Lohnfortzahlung, wenn …

… du nach erfolgter Wiedereingliederung mindestens sechs Monate wieder voll arbeitsfähig und nicht erneut wegen der ursprünglichen Diagnose krankgeschrieben warst.

… zwischen der jetzigen Erkrankung und dem Beginn der damaligen Erkrankung zwölf Monate vergangen sind.

Ist dein Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht gegeben, weil du beispielsweise einen Monat nach erfolgreicher Wiedereingliederung erneut an derselben Krankheit erkrankst, erhältst du direkt Krankengeld. Hast du die 78 Wochen Krankengelddauer bereits überschritten, bekommst du direkt Arbeitslosengeld.

Urlaub und Über­stun­den: Diese Ansprüche hast du

Weil du während einer Wiedereingliederung nicht deine eigentliche Arbeitsleistung erbringst, hast du keinen Anspruch auf Urlaub. Urlaub ist die Befreiung von der Arbeitspflicht durch den Arbeitgeber. Dieser kann dich jedoch nicht von etwas befreien, was gar nicht beziehungsweise nicht in vollem Umfang erfüllt wird.

Überstunden werden während der Wiedereingliederung ebenfalls nicht gesondert vergütet, auch Anspruch auf Freizeitausgleich besteht nicht.

Wie­der­ein­glie­de­rung klappt nicht – was dann?

Hast du im Zuge einer Wiedereingliederungsmaßnahme versucht, wieder im Berufsleben Fuß zu fassen, doch deine verminderte Leistungsfähigkeit zwang dich zum Abbrechen der Maßnahme? Keine Sorge. Das kann vorkommen. Berechtigterweise fragst du dich nun, wie es weitergeht und ob du weiterhin Krankengeld oder zu einem späteren Zeitpunkt erneut eine Chance auf Wiedereingliederung bekommst.

Hier gilt: Du erhältst weiterhin Kranken- beziehungsweise Verletztengeld und du bleibst wie zuvor arbeitsunfähig. An deinem Status und an deiner finanziellen Situation verändert sich also nichts. Aber Achtung: Gesetzlich Versicherten steht in Bezug auf Krankengeld eine Leistungsdauer von 78 Wochen zu – hast du bereits 78 Wochen lang Krankengeld bezogen, kann ein Abbruch der Wiedereingliederung dazu führen, dass du Arbeitslosengeld beantragen musst.

Ist die Maßnahme im gegenseitigen Einvernehmen zwischen dir und deinem Arbeitgeber abgebrochen worden, spricht nichts dagegen, dass du nach weiteren rehabilitativen Maßnahmen erneut versuchst, über eine Wiedereingliederung in den Job zurückzukehren. Bist du deinen Verpflichtungen innerhalb der vereinbarten Wiedereingliederungsmaßnahme aus anderen Gründen nicht nachgekommen, obwohl du gesundheitlich dazu in der Lage gewesen wärst, könnte dies unter Umständen zu Ärger mit deinem Arbeitgeber führen.

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