Kindeswohlgefährdung erkennen und richtig handeln © Fotolia/altanaka

8. März 2022, 10:30 Uhr

Darf ich eigentlich? Kin­des­wohl­ge­fähr­dung erkennen und richtig handeln

Kindeswohlgefährdung ist für Außenstehende oft nicht eindeutig zu erkennen. Das verunsichert aufmerksame Mitmenschen: Sie möchten einerseits gefährdeten Kindern helfen, andererseits aber die betreffende Familie nicht durch mögliche falsche Verdächtigungen in Schwierigkeiten bringen. Hier findest du einige Anhaltspunkte und Tipps, wie du bei einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung reagieren kannst.

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Kin­des­wohl­ge­fähr­dung: Defi­ni­ti­on und Gesetzeslage

Eltern haben laut Artikel 6 des Grundgesetzes (GG) die Pflicht, die Pflege und Erziehung ihres Kindes zu übernehmen und dessen Wohl zu erhalten. Kommen Eltern oder andere Erziehungsberechtigte diesem Auftrag nicht nach, kann ein Kind in akuten und schweren Fällen von Kindeswohlgefährdung auch gegen den Willen der Erziehungsberechtigten von der Familie getrennt werden (Art. 6 Abs. 3 GG).

Eine Kindeswohlgefährdung liegt gemäß § 1666 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dann vor, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes unmittelbar beeinträchtigt oder bedroht ist und die Erziehungsberechtigten diesen Zustand nicht abstellen können oder wollen. Darunter fällt auch eine Beeinträchtigung des Kindeswohles durch Dritte, wenn die Eltern dies beispielsweise nicht verhindern.

Kinder haben zum Beispiel ein Recht auf gewaltfreie Erziehung (§ 1631 Abs. 2 BGB). Manchmal führt Unwissenheit oder Überforderung der Eltern zu gewalttätigem Verhalten oder zur Vernachlässigung eines Kindes. Konkrete Verdachtsfälle auf Kindeswohlgefährdung sollten in jedem Fall beim zuständigen Jugendamt gemeldet werden. Dieses hat gemäß § 8a Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) einen Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung und muss aktiv werden, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt.

Bestätigt sich der Verdacht, muss ein Familiengericht geeignete Maßnahmen beschließen. Diese sind in § 1666 Absatz 3 BGB aufgelistet. Zum Beispiel kann eine Auflage an die Eltern ergehen, Hilfsangebote wahrzunehmen. In besonders schweren Fällen ist auch die Entziehung der elterlichen Sorge möglich.

Kind sitzt mit Teddybär auf einer Sportplatzbank.
© iStock.com/FatCamera

Beispiele für Kindeswohlgefährdung

Die gesetzliche Definition einer Kindeswohlgefährdung ist recht allgemein gehalten. Konkret kann sie zum Beispiel in folgenden Formen auftreten:

  • Ver­nach­läs­si­gung des Kindes: Den Grund­be­dürf­nis­sen des Kindes – etwa nach Essen, sauberer Kleidung, Nähe und Gebor­gen­heit oder ärzt­li­cher Behand­lung bei Krankheit – werden die Eltern nicht gerecht.
  • Ver­nach­läs­si­gung weiterer elter­li­cher Pflichten: Eltern müssen dafür sorgen, dass ihre schul­pflich­ti­gen Kinder zur Schule gehen – tun sie dies nicht, ist das Kin­des­wohl gefährdet. Eltern müssen auch ihre Auf­sichts­pflicht wahr­neh­men: Ein Kleinkind, das draußen für längere Zeit unbe­auf­sich­tigt spielt, obwohl in der Nähe eine Gefah­ren­quel­le (Straße, steile Treppe o. ä.) ist, befindet sich in Gefahr.
  • Kör­per­li­che Gewalt: Diese stellt in jeder Form eine Kin­des­wohl­ge­fähr­dung dar.
  • Psy­chi­sche oder seelische Miss­hand­lung: Kinder sind zum Beispiel regel­mä­ßig Beschimp­fun­gen, Wut­aus­brü­chen oder anderen her­ab­set­zen­den Äuße­run­gen ihrer Erzie­hungs­be­rech­tig­ten aus­ge­setzt. Müssen Kinder immer wieder häusliche Gewalt zwischen den Eltern mit­er­le­ben, bedroht auch dies ihr see­li­sches Wohl.
  • Sexueller Miss­brauch: Gemäß §§ 176 ff. Straf­ge­setz­buch (StGB) ist dieser eine Straftat und wird ent­spre­chend verfolgt. Nicht nur sexuelle Hand­lun­gen an Kindern sind sexueller Miss­brauch: Ebenso gefährdet es das Kin­des­wohl, wenn Kinder solche Hand­lun­gen mit­an­se­hen müssen.
  • Über­be­hü­tung: Auch das Über­be­hü­ten kann in extremen Fällen das Kin­des­wohl gefährden.

Anzeichen für Kindeswohlgefährdung

Ob das Wohl eines Kindes gefährdet ist, kann sich an typischen Kriterien zeigen. Am auffälligsten sind dabei körperliche Merkmale:

  • Spuren von Gewalt, etwa: immer wieder blaue Flecke, Narben oder sogar Knochenbrüche
  • Mangelnde Hygiene, ver­schmutz­te oder nicht wit­te­rungs­ge­mä­ße Kleidung
  • Häufige Müdigkeit, Schlaf- oder Ess­stö­run­gen, Stottern, Kon­zen­tra­ti­ons­schwä­che, Entwicklungsverzögerungen

Aber auch im Verhalten des Kindes können sich Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung zeigen. Beispiele:

  • Das Kind ist häufig aggressiv, schreck­haft oder extrem ängstlich gegenüber anderen.
  • Es miss­ach­tet ständig Regeln und Grenzen, ist distanz­los oder kapselt sich von anderen ab.
  • Es verletzt sich selbst.

Für eine ausführliche, von Experten verfasste Checkliste mit möglichen Anzeichen von Kindeswohlgefährdung kannst du dich zum Beispiel an den Deutschen Kinderschutzbund, an das Jugendamt oder an eine Familienberatungsstelle vor Ort wenden.

Kin­des­wohl­ge­fähr­dung melden: So handelst du richtig

Für Außenstehende – etwa Nachbarn oder flüchtige Bekannte – ist es wesentlich schwieriger, eine Kindeswohlgefährdung zu erkennen, als etwa für pädagogische Fachkräfte wie Erzieher und Lehrer. Diese werden speziell geschult und haben regelmäßig Kontakt mit dem Kind. Sie können sich strafbar machen, wenn sie bei einem konkreten Verdacht nicht handeln. Für Privatpersonen gilt das nicht.

Dennoch solltest du bei Verdacht nicht einfach wegsehen. Die Jugendämter vertreten in der Regel selbst den Grundsatz: „Lieber einmal zu viel anrufen als einmal zu wenig.” Das Jugendamt ist verpflichtet, allen Verdachtsmomenten auf Kindeswohlgefährdung nachzugehen.

Du solltest dich jedoch darauf einstellen, dass das Jugendamt mehrere konkrete Rückfragen stellt: Worin genau begründet sich dein Verdacht? Was hast du konkret beobachtet, was vermutest du lediglich? Daher solltest du dir sämtliche Punkte, die dir verdächtig vorkommen, vorher notieren – am besten mit Zeitangaben. So vergisst du nichts und läufst auch nicht Gefahr, in Spekulationen zu verfallen. Das ist besonders bei schwerwiegenden Vorwürfen sehr wichtig.

Du hast Angst, nach einem Anruf beim Jugendamt wegen Verleumdung angezeigt zu werden? Wenn du dir nicht sicher bist, ob dein Verdacht ausreicht, um das Jugendamt einzuschalten, kannst du dir zunächst bei einer Familienberatungsstelle in deiner Nähe Rat holen. Die Experten können anhand deiner Beobachtungen die Situation fachlich einschätzen und dir auch Tipps für das weitere Vorgehen geben.

Gut zu wissen: Du kannst deinen Verdacht auch anonym beim Jugendamt melden. Dann taucht dein Name nicht in der Akte auf. Allerdings kann das Jugendamt dir dann auch keine Rückmeldung geben oder dich nachträglich um weitere Informationen bitten, um den Fall zu klären.

FAZIT
  • Kin­des­wohl­ge­fähr­dung bedeutet: Das kör­per­li­che, geistige oder seelische Wohl eines Kindes ist gefährdet.
  • Wenn die Erzie­hungs­be­rech­tig­ten nichts dagegen unter­neh­men können oder wollen, muss das Jugendamt tätig werden. Über geeignete Maßnahmen ent­schei­det ein Familiengericht.
  • Kör­per­li­che Merkmale oder ein auf­fäl­li­ges Verhalten des Kindes können darauf hindeuten, dass sein Wohl gefährdet ist.
  • Konkrete Ver­dachts­mo­men­te sollten dem zustän­di­gen Jugendamt gemeldet werden. Das geht auch anonym.
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