Richter mit Richterhammer und Dokumenten in der Hand Andrey Popov, Fotolia

8. Juli 2015, 17:46 Uhr

Interview Vom Streiten und Schlich­ten – Ein Amts­rich­ter erzählt

Björn Jönsson ist seit 16 Jahren Richter und arbeitet am Amtsgericht Hamburg-Mitte. Was für den Strafrichter den Beruf ausmacht, welche Streitigkeiten er schlichten muss und wie gut seine Menschenkenntnis ist, hat er im Interview mit dem Streitlotsen berichtet.

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Streitlotse: Wollten Sie schon immer Richter werden?

Björn Jönsson: Zur Juristerei bin ich eher durch Zufall gekommen. Als Schüler habe ich mich zu spät um einen Praktikumsplatz gekümmert und bin als „Notlösung“ zu einem Freund meines Vaters gegangen, der Rechtsanwalt war. Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich danach Jura studieren wollte. Während des Studiums fand ich Strafrecht am interessantesten. So war früh klar, dass ich Richter werden wollte.

Streitlotse: Worüber streiten sich die Menschen im Amtsgericht Hamburg-Mitte am meisten?

Björn Jönsson: Wir haben – wegen der Innenstadtnähe – viele Ladendiebstähle zu verhandeln, die häufig von Drogensüchtigen begangen werden. Aufgrund der „Kiez“-Nähe haben wir aber auch einen hohen Anteil an Körperverletzungen zu schlichten, die meist von Tätern im angetrunkenen Zustand begangen werden. Einen hohen Anteil haben die Verkehrsdelikte wie Trunkenheit am Steuer oder Verkehrsunfallflucht.

PrivatrechtsschutzStreitlotse: Welcher Fall ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?

Björn Jönsson: Es hat einige „amüsante“ Sachverhalte gegeben, an die ich mich gerne zurückerinnere. Aber auch einige sehr schwerwiegende Tatvorwürfe und äußerst „häßliche“ Tatgeschehen. In Erinnerung habe ich noch den Fall eines Reiseverkehrskaufmannes, der zahlreiche Betrugstaten zulasten seines Arbeitgebers begangen hat. Er hat Urlaubsreisen für sich und seinen Lebensgefährten gebucht, die er seinem Tatplan entsprechend nicht bezahlen wollte. Der Angeklagte, der sich wegen der Taten in Haft befand, hat gestanden, dass er die Taten begangen hat, um seinem unwissenden Lebensgefährten etwas bieten zu können. Er hielt sich selbst für nicht attraktiv genug und befürchtete, sein Freund könne ihn verlassen. Im Gerichtssaal kam es dann zu herzergreifenden Szenen, da der Lebensgefährte sagte, dass er den Angeklagten lieben würde, ob mit oder ohne geschenkter Reise. Jede Menge Tränen rollten. Da der Angeklagte auch Schadenswiedergutmachung geleistet hatte, konnte ich ihm guten Gewissens eine Bewährungschance einräumen. Doch nur wenige Tage nach der Haftentlassung beging er die identischen Taten wieder. Nunmehr aber zusammen mit seinem Lebensgefährten, der offenbar doch Geschmack an den tollen Reisen gefunden hatte. Die neuerliche Strafe musste der Angeklagte dann verbüßen. Ebenso wie die widerrufene Bewährungsstrafe aus meinem Urteil.

Streitlotse: Können Sie mit Ihrem Urteil Streitigkeiten schlichten oder sind Urteile oft nur ein kurzzeitiger Stoß in die richtige Richtung?

Björn Jönsson: Es gibt immer wieder Fälle, bei denen ich einen Streit schlichten konnte. Dies setzt auch nicht zwingend voraus, dass ich am Ende ein Urteil spreche. Bei Bagatelldelikten zum Beispiel kann ich vielmehr im Rahmen der Hauptverhandlung schlichten und muss dann meist nicht durch ein Urteil entscheiden. Hier kann es ausreichen, dem Angeklagten eine kleinere Geldbuße zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung aufzuerlegen.

Streitlotse: Sind Sie enttäuscht von manchen Angeklagten?

Björn Jönsson: Es gibt Fälle, in denen man Tätern eine Bewährungschance einräumt, weil man der Überzeugung ist, dass die Angeklagten künftig keine weiteren Straftaten mehr begehen werden. Diese Prognose kann aber auch mal unzutreffend sein. Das kann verschiedene Ursachen haben. Teilweise ergeben sich diese Umstände für einen „Rückfall“ erst nach der Hauptverhandlung, sodass sie für mich gar nicht vorhersehbar waren. Dann bin ich auch nicht unbedingt enttäuscht. Es hat aber auch schon einen Fall gegeben, in dem ich fälschlicherweise sogar meine Hand dafür ins Feuer gelegt hätte, dass der Angeklagte nicht wieder straffällig wird. Da war ich tatsächlich sehr enttäuscht.

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