Behandlungsfehler: Besteht Anspruch auf Schmerzensgeld? © iStock.com/yavdat

12. Juli 2022, 11:38 Uhr

Darf ich eigentlich? Behand­lungs­feh­ler: Besteht Anspruch auf Schmerzensgeld?

Geht eine medizinische Behandlung schief, führt das manchmal zu schwerwiegenden psychischen und physischen Folgen bei den Betroffenen. Ist dafür ein Behandlungsfehler verantwortlich, können Geschädigte Schmerzensgeld und Schadenersatz von den Verursachern fordern. Wie viel das ist und wie du dein Recht geltend machst, liest du hier.

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Wann liegt ein Behand­lungs­feh­ler vor?

Nicht jede medizinische Behandlung erreicht das gewünschte Ergebnis. So kann es zum Beispiel sein, dass die ursächlichen Beschwerden auch danach noch vorhanden sind. Ebenso möglich: Es treten lediglich gewöhnliche Komplikationen und Nebenwirkungen auf oder die Patienten missachten ärztliche Hinweise. Verfehlt die Therapie aus diesen und ähnlichen Gründen ihr Ziel, ist sie zwar ein Misserfolg, aber nicht zwangsläufig ein Behandlungsfehler. Ein solcher ist nur gegeben, wenn während der Behandlung geltende allgemein anerkannte fachliche Standards nicht eingehalten wurden.

Dazu kann es in unterschiedlichen Bereichen und Phasen der medizinischen Versorgung kommen: bei der Aufklärung im Patientengespräch, bei der Diagnose, während eines Eingriffs oder der Verabreichung von Arzneien. Auch schlecht organisierte Abläufe oder der Einsatz nicht geeigneten Personals können prinzipiell als Behandlungsfehler gelten – sowohl in Fachpraxen als auch in Krankenhäusern.

Je nach Umständen können bei Behandlungsfehlern also nicht nur Ärztinnen und Ärzte verantwortlich gemacht werden, sondern beispielsweise auch Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger, Hebammen, Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker oder Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten.

Wann steht dir bei Behand­lungs­feh­lern Schmer­zens­geld zu?

Den grundsätzlichen Anspruch auf Schmerzensgeld regelt § 253 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Demnach muss Betroffenen durch Dritte ein immaterieller Schaden entstanden sein. Das betrifft laut Gesetzestext eine „Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung.”

Ob es im Falle deiner medizinischen Behandlung zu einer dieser Verletzungen gekommen ist, musst du im Zweifelsfall belegen. Das heißt, dass die Beweislast für Behandlungsfehler beim Patienten liegt. Du musst also aufzeigen, dass ein Behandlungsfehler ursächlich für deine gesundheitlichen Beschwerden ist, die du beispielsweise seit einer Operation hast. Anders ist die Sachlage bei Verdacht auf einen schwerwiegenden Behandlungsfehler. In diesem Fall kehrt sich die Beweislast um und liegt bei der behandelnden Person.

Ein grober Behandlungsfehler kann gegeben sein, wenn …

  • … du vor einer Therapie nicht aus­rei­chend infor­miert wurdest oder du dafür nicht deine Zustim­mung gegeben hast.
  • … dich eine unqua­li­fi­zier­te Person behandelt hat.
  • … du nicht nach einem erprobten Stan­dard­ver­fah­ren behandelt wurdest, sondern nach einer risi­ko­rei­chen neuen Therapie.
  • … zwei­fel­haf­te Befunde nicht aus­rei­chend geklärt wurden.
  • … deine betref­fen­de Kran­ken­ge­schich­te und Behand­lung lücken­haft oder gar nicht doku­men­tiert ist.
  • … der behan­deln­den Person ein grober Fehler unter­lau­fen ist, der auf keinen Fall hätte passieren dürfen.

Liegt nachweislich ein Behandlungsfehler vor, hast du Anspruch auf Schmerzensgeld und gegebenenfalls auch auf Schadensersatz. Dafür haftet die Berufshaftpflichtversicherung der verursachenden Person. Diese muss nur dann aus eigener Tasche zahlen, wenn sie den Behandlungsfehler aufgrund von persönlichem Verschulden oder grober Fahrlässigkeit begangen hat.

Arzt zeigt Röntgenbild einer unglücklichen Patientin.
© iStock.com/Blue Planet Studio

Wie viel Schmer­zens­geld gibt es bei Behandlungsfehlern?

In Deutschland gibt es für Behandlungsfehler keine pauschal geltende Schmerzensgeld-Tabelle. Stattdessen ist stets der Einzelfall entscheidend. Bei der Höhe des Schmerzensgeldes spielen grundsätzlich folgende Punkte eine Rolle:

  • die Schwere der Schäden (psychisch und physisch),
  • die erfor­der­li­che Dauer und die Folgen einer nötigen Therapie aufgrund eines Behandlungsfehlers,
  • Stärke und Dauer der Beschwer­den, ggf. chro­ni­sche Schmerzen.

Wie viel Schmerzensgeld und Schadensersatz sich daraus ergeben, lässt sich wegen der fehlenden gesetzlichen Regeln nicht sagen. Ungefähre Anhaltspunkte geben lediglich ergangene Gerichtsurteile. Hier einige Beispiele:

Tabelle: Gerichtsurteile zu Behandlungsfehlern

Behand­lungs­feh­ler mit Todes­fol­ge: Das Recht von Angehörigen

In der Regel wird Schmerzensgeld den Patienten und Patientinnen zugesprochen. Es gibt allerdings auch Fälle, in denen Angehörige Schmerzensgeld erhalten. Und zwar dann, wenn ein enges Familienmitglied wegen eines Behandlungsfehlers in Lebensgefahr gerät oder gar stirbt und die Hinterbliebenen deshalb selbst an unzumutbaren gesundheitlichen Folgeschäden leiden, wie etwa Psychosen, Neurosen, schwere Depressionen oder Angstzustände.

Das Schmerzensgeld nach einem Behandlungsfehler mit Todesfolge orientiert sich allerdings nicht am eingetretenen Tod selbst, sondern an der Körperverletzung, die die verstorbene Person zuvor erlitten hat. Daher haben Angehörige kein Recht auf Schadensersatz, wenn die Patientin oder der Patient durch den Behandlungsfehler sofort verstirbt oder bis zum Eintreten des Todes vollständig empfindungslos ist.

So entschied das Bochumer Landgericht etwa zugunsten einer Mutter, deren Tochter nach einer fehlerhaften Narkose verstarb. Die Mutter erlitt nach dem unerwarteten Tod der Tochter eine posttraumatische Belastungsstörung, isolierte sich aufgrund von Panikattacken und suizidalen Gedanken von ihrer Umwelt und wurde erwerbsunfähig. 2010 setze das Landgericht Bochum in diesem Fall ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 Euro fest (AZ I-6 O 78/08).

INFO

Auch Zahnärztinnen und Ärzte haften grundsätzlich für Behandlungsfehler. Bei Zahnersatz gelten allerdings eigene Regeln. Diese sehen eine zweijährige Gewährleistungspflicht vor. In dieser Zeit muss der Zahnersatz kostenfrei erneuern beziehungsweise so nachbessern, dass die Patienten beschwerdefrei sind. Die Frist beginnt, sobald die ursprüngliche Behandlung abgeschlossen und der Zahnersatz vollständig eingesetzt ist. Gibst du dem Behandelnden keine Möglichkeit zur Nachbesserung, kann es sein, dass du etwaige Ansprüche auf Schmerzensgeld und Schadenersatz verwirkst.

Übrigens: Für Behandlungsfehler durch einen Zahnarzt gibt es ebenfalls keine Schmerzensgeld-Tabelle.

Scha­dens­er­satz bei Behand­lungs­feh­ler: Wann hast du Anrecht darauf?

Neben Schmerzensgeld kannst du gegebenenfalls auch Schadensersatz fordern. Dieser wird fällig für Ausgaben, die du infolge eines Behandlungsfehlers hast. Das gilt unter anderem hinsichtlich der Kosten für:

  • Medi­ka­men­te
  • erfor­der­li­che Therapien
  • Pfle­ge­kräf­te und Hilfen im Haushalt (auch für die unent­gelt­li­che Unter­stüt­zung durch Ange­hö­ri­ge und Bekannte)
  • ent­gan­ge­nes Einkommen

So setzt du deine Ansprüche bei Behand­lungs­feh­lern durch

Möchtest du Ansprüche auf Schmerzensgeld oder Schadenersatz für Behandlungsfehler anmelden, stehen dir zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Du kannst gerichtlich vorgehen oder dich außergerichtlich einigen. In beiden Fällen benötigst du ein medizinisches Sachverständigengutachten, das deinen Anspruch belegt.

Das kannst du über eine fachanwaltliche Vertretung in Auftrag geben, über den Medizinischen Dienst deiner Krankenkasse (MDK) oder bei den Gutachterkommissionen der Landesärztekammern erwirken Diese bieten auch Schlichtungsstellen für eine außergerichtliche Klärung deines Falls. Vorteil dieser Variante: Das Verfahren ist kürzer als vor Gericht und dementsprechend erhältst du dein Geld im Erfolgsfall früher.

Wichtig: Deine Ansprüche musst du innerhalb einer Frist von drei Jahren nach dem Behandlungsfehler geltend machen.

FAZIT
  • Behand­lungs­feh­ler liegen vor, wenn bei einer Therapie gegen medi­zi­ni­sche Standards verstoßen wurde.
  • Um Schmer­zens­geld oder Scha­dens­er­satz zu erhalten, müssen Fehler per Gutachten belegt werden.
  • Die Beweis­last liegt bei den Pati­en­tin­nen und Patienten. Bei groben, also schwer­wie­gen­den Behand­lungs­feh­lern kehrt sie sich aller­dings um.
  • Über die Höhe des Schmer­zens­gelds wird je nach Ein­zel­fall entschieden.
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